Straße 

Begegnung 

Ver's 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


 

Vermeidung und Verachtung
”Sind diese Begriffe miteinander verwandt - und wenn ja, wie?"

Zunächst sollte man vielleicht die Bedeutung der beiden Wörter untersuchen:

Bei "Verachtung" fällt das ganz leicht, wenn man es aus "Achtung" ableiten mag:
Achtung ist Wertschätzung, es bedeutet, jemanden oder etwas hochzuhalten, das ist mit Respekt verbunden. Wenn man jemanden achtet, dann be-achtet man ihn, das heißt, man gibt ihm Aufmerksamkeit.
Setzt man nun ein "Ver-" vors Substantiv, dann kehrt sich die Bedeutung ins Gegenteil:
Verachtung ist Geringschätzung, es bedeutet, jemanden oder etwas niedrig zu halten, despektierlich zu behandeln. Wenn man jemanden verachtet, dann miss-achtet man ihn, das heißt, man verweigert ihm Aufmerksamkeit.

Bei “Vermeidung” , wenn man sie analog aus der Meidung ableiten will, ist die Sache schon etwas kniffliger:
Vermeidung ist nicht unbedingt das Gegenteil von Meidung.
Ich gehe spazieren und treffe auf eine Baustelle. Jetzt macht es durchaus einen subtilen Unterschied, ob ich dieses Hindernis meide oder ob ich es ver-meide: Die Baustelle selbst kann ich ja gar nicht vermeiden, sie ist schließlich da. Ich kann nur ver-meiden, ihr zu begegnen - indem ich sie "meide", also die Straßenseite wechsle oder zuhause bleibe.
Eine unangenehme Situation oder eine Person, die ich nicht mag meide ich, indem ich ihr aus dem Weg gehe oder ihren Telefonanruf nicht erwidere. Ver-meiden kann ich beides nicht. Das weichere "Meiden" bedeutet Ausweichen, Umgehen, Abwiegeln und so weiter. Das reicht aber nicht aus, um das Unangenehme zu verhindern: Ich kann dieses also nur durch "Meidung" umschiffen oder versuchen, eine Begegnung damit zu ver-meiden. Will ich eine bestehende Situation vermeiden, dann muss ich sie vernichten. Vermeidung liegt also wesentlich näher am Mord als Meidung... Oder die (potentielle) Situation liegt in der eigenen Verantwortung und man vermeidet sie, indem man sie gar nicht erst zulässt.

Gibt es nun ein Familienverhältnis zwischen den beiden Begriffen Vermeidung und Verachtung, dann sind - da ja beides weibliche Substantive sind - folgende sieben Verwandtschaftsverhältnisse denkbar:
1a: Großmutter ist die Vermeidung und ihre Enkelin die Verachtung.
1b: Großmutter ist die Verachtung und ihre Enkelin ist Vermeidung.
2a: Die Mutter ist Vermeidung, die Tochter Verachtung. 
2b: Die Mutter ist Verachtung, die Tochter Vermeidung.
3a: Vermeidung ist die ältere von zwei Schwestern, Verachtung die jüngere. 
3b: Die große Schwester ist Verachtung, die kleine Vermeidung.
4: Hier gibt es zwei eineiige Zwillingsschwestern. Die eine hört auf den Namen Vermeidung, die andere heißt Verachtung.

(Da es hier ja um strukturelle Begriffs-Hierarchien geht, wären weitere Verwandtschaftsverhältnisse wie Cousinen, Tanten usw. überflüssig spitzfindig.)

Betrachten wir jetzt mal das Gedankenkonstrukt 1a: Hier handelt es sich also um einen Mehrgenerationenkonflikt: Die Verachtung (in diesem Modell in Gestalt der Enkelin personifiziert) ist also die erbliche oder genetische Schlussfolgerung, das "Resultat", welches sich in einem sehr langen Entwicklungsprozess ergeben hat: Zuerst wurde die Vermeidung geboren, musste reifen, erwachsen werden, eine Generation alt werden, dann gebar sie ein Mädchen - die spätere Mutter der Verachtung. Dieses bekam beispielsweise den Namen Verängstigung, Verunsicherung, Verleugnung oder Verärgerung... Und erst ein halbes Menschenleben (also eine weitere Generation) danach kam die kleine Verachtung auf die Welt. Diese trägt nun ihre genetisch aufgebürdete Wesenheit durchs Leben, kultiviert, bekämpft oder verwandelt sie so lange, bis sie eines Tages - wiederum eine Generation später - zu einem Punkt gelangen wird, wo ein neues Resultat entsteht, nämlich die Geburt ihrer eigenen Tochter. (Diese mag dann vielleicht den Namen Vergebung oder Versöhnung bekommen, aber das ist zunächst nur eine Zukunfts-Idee, ein Traum oder ein Wunsch und jetzt nicht von Belang, weil es ja hier um die Verbindung der beiden Begriffe - also um die "gemeinsame Lebenszeit von Oma Verblendung und Enkelin Verachtung" - geht...)

Die Denkmodelle 2a und 2b würden, so betrachtet, einen "normalen" Generationenkonflikt zwischen Mutter und Tochter darstellen, etwa wie man das Auflehnen der jüngeren Generation gegen das Althergebrachte kennt:
Hier findet der Wandel innerhalb einer Generation und direkter, von Angesicht zu Angesicht, statt. Die Ursprungssituation liegt nicht so weit zurück und scheint dadurch weniger archaisch, gottgegeben oder jenseits des eigenen Einflusses. Das heißt, der Weg von der Vermeidung zur Verachtung (oder umgekehrt) ist jetzt ein direkter Konflikt zwischen 2 Menschen und nicht eine einsame Verarbeitung eines schicksalhaften Erbes.

3a stellt dasselbe Muster dar, jedoch in direkter Konfrontation: Verachtung würde nicht als Entwicklungsprozess, sondern impulsiv und sofort als Gegenreaktion eine Vermeidung, Verhinderung, Vernichtung auslösen. (Und umgekehrt-analog 3b.)

Im Modell 4. stehen sich zwei gleichwertige Partner (oder Gegner) auf gleicher Augenhöhe gegenüber. Diese Form der Konfrontation findet ohne jede Entwicklung statt und bedeutet, dass sich "Verachtung" und "Vermeidung" gegenseitig spiegeln.

Vermeiden heißt, etwas zu verhindern oder nicht zuzulassen.
Die gedanklichen Modelle 1a, 2a, 3a bedeuteten also, dass (mehr oder weniger bewußt) die Verhinderung eines Sachverhalts in dem hässlichen Gefühl der Verachtung mündet: Entweder am Ende eines langen, generationenübergreifenden und wohl schmerzhaften Entwicklungsprozesses (1), in der vielleicht lebenslangen Mutter-Tochter-Konfrontation (2) oder in einem schnelleren und direkten Disput (3).
Es würde beispielsweise heißen, dass erst die Ausführung eines Krieges eine Verachtung des Gegners bewirkt: Es fällt doch einigermaßen schwer, sich vorzustellen, dass ein "Vermeidungs"-Vorgang, also aktives Handeln, Quelle der Unzufriedenheit und Auslöser des Konfliktes ist und erst danach in einem langen Prozess das Gefühl "Verachtung" auslöst.
Hier im Kriegsbeispiel gilt es, den Gegner durch Vernichtung "zu vermeiden". Es wird sich also wohl eher umgekehrt verhalten: Ein Gefühl der "Verachtung" des Gegners führt zur aktiven Reaktion "Vermeidung" (Krieg).

Wenn man sich einen der Kernsätze aus der Lehre des Buddha vor Augen hält, nämlich dass jedes Denken und Handeln seinen Ursprung in einem Gefühl hat, dann sind tatsächlich die Umkehrmodelle 1b, 2b, 3b - also die Vorstellung, dass zuerst das hässliche Gefühl der Verachtung auftaucht, welches dann erst zum Handeln (oder Denken) treibt - eventuell leichter zu verstehen.

In jedem Fall aber, egal ob über eine oder mehrere Generationen hinweg, wird das Ergebnis (also die aus der Vermeidung geborene Verachtung oder die aus der Verachtung geborene Vermeidung) eine Missgeburt sein. Denn "Vermeidung" ist eine negative Handlungsbeschreibung, "Verachtung" ein tiefes negatives Gefühl.

Worum geht es denn überhaupt bei dieser Betrachtung? - Im Grunde doch wohl darum, ein Gefühl von Verachtung, welches unweigerlich leid-erzeugende Reaktionen hervorruft, so früh wie möglich zu erkennen und gar nicht erst Besitz von unserem Inneren ergreifen zu lassen. Und es ist, um hier nochmal eine buddhistische Wahrheit zu bemühen, davon auszugehen, dass die Verachtung keineswegs das auslösende Ur-Gefühl ist, sondern ihrerseits eine Ur-Mutter hat: Die Verblendung, welche ja in der 12-gliedrigenen Kette des bedingten Entstehens ganz oben steht
(Avijja, Unwissenheit)...

 


 

Verwicklung
Ungeordnete und/oder verzweifelte, meist ungewollte Abweichung von einer Wicklung.
 
Man stelle sich eine ordentliche Wicklung vor, etwa die eines Elektromotors. Der Wickler war nicht sorgfältig genug, hat sich bei der Arbeit verwickelt, und schon klemmt das Ding.

Seitdem mich meine Freundin um den Finger gewickelt hat, bin ich in diese Beziehung verwickelt. Heraus kam ein Baby. Beim ersten verzweifelten Versuch, dieses zu wickeln, habe ich mich (und es) dabei verwickelt, das Geschrei war groß. Nachdem ich mich also damals in diese halbseidene Sache habe verwickeln lassen, versuchte ich (auch wieder verzweifelt), von dort wieder herauszukommen. Erst versuchte ich es logisch, nämlich durch Ent-Wicklung. Doch die sprachliche Bedeutung konnte mir im wirklichen Leben nicht folgen. (Ein ähnlich semantisches Schicksal widerfuhr übrigens dem oben erwähnten Elektriker, der sich nach dem verzweifelten Versuch, die Drähte des Motors wieder gerade zu biegen, vor seinem Chef als ‘Entwickler’ zu profilieren versuchte, worauf er jedoch umgehend die Kündigung erhielt.) Wie das eben so läuft: Ein nett gemeintes aber unfreundlich geratenes Wort ergibt das nächste dann schon unfreundlich gemeinte und häßlich geratene... Das als positive Entwicklung gestartete Unternehmen gerät außer Kontrolle, der als Ent-Wicklung geplante Schritt entwickelt sich - eine wahre Inzucht der Bedeutungen - ungewollt ins Gegenteil, implodiert sozusagen in sich selbst zurück zur erneuten, nunmehr gesteigerten Ver-Wicklung. Na ja, irgendwann wurde ich mir des so entstandenen Knotens bewußt, womit gleich die Verwicklung der Gefühle zur Verstrickung in dieselben mutieren durfte. Und damit war ich unter Zuhilfenahme professioneller therapeutischer Knotenlöser das Problem bald los. Was blieb, war das Baby, welches mindestens fünfmal am Tag gewickelt werden wollte. Die Zeiten ändern sich rasend schnell, mittlerweile will das brave Kind gar nicht mehr gewickelt werden, versucht schon selbst aufs Klo zu steigen: Humane Entwicklungen sind halt immer nur eine Frage der Zeit, so oder so...

 


 

Verzweiflung
Übersteigerte Zweiflung. Entsteht bei Zerstörung der lebensnotwendigen Symbiose aus Zweifel ( m) und Zuversicht (f). (*)

Grund für Verzweiflung ist immer der klassische Ehestreit zwischen dem vordergründig klar gerichteten und ehrlich scheinenden, in Wahrheit aber hochneurotischen Herrn Zweifel und seiner stets irgendwie mißtrauenerregend-halbseiden fröhlichen Gattin Zuversicht. Nur dieser Streit hält uns unser Leben lang in Atem - also auch in der Balance. Gewinnt Frau Zuversicht den Streit, gleiten wir in debilen Positivismus ab. Siegt Herr Zweifel, verliert er sein Gegengewicht und wir rutschen ab in die o. a. Verzweiflung...

Das christlichen Verständnis hierüber ist ja bekannt:
Als Gott dem zweifelnden Adam zwecks leichterer Lebensbewältigung die zuversichtliche Eva zur Seite stellte, formte er diese aus einer zuvor aus Adam ‘rausgeschnittenen Rippe, um dadurch die Lebensnotwendigkeit der obgenannten Symbiose zu unterstreichen...

 


 

Verzweigung
 
Es gibt im Leben nur eine einzige wirkliche Verzweigung:
Zuerst knospt das Babyknöspchen aus dem Stamm.
Dann (und nur hier)
verzweigt sich das Zweigenkind zum jugendlichen Ästlein.
Im Lauf der Jahre verästelt sich dieses zum erwachsenen Ast, verhärtet danach zum Synonym für ’Ausgewachsen’ und verastet sich am Ende zu unbrauchbarem knorrigen Altholz.

 


 

Verständnis, Verbeugung, Verbindung, Verletzung, Verachtung, Vernetzung, Verbot, Versuch, Versuchung, Vergeltung, Verunglimpfung, Vermengung ...

 

nach oben